auf dem punkt: durchdrehen

LEONIDEN, das sind Lennard Eicke, Djamin Izadi, Felix Eicke, Jakob Amr, JP Neumann (v.li.) (Foto: Maximilian König)

Die Kieler Musikanten- und Gesangsgruppe LEONIDEN schmeißen mit „Again“ am 26. Oktober ihr zweites Studioalbum auf den Markt. Eine Platte, die in akribischer Kleinstarbeit und unzähligen Fleißstunden während der letzten Tour entstanden ist. Ich hatte ein Date mit Sänger Jakob im Café Fresco und habe mit ihm über die Entstehung der LP gesprochen, warum gerade Kiel als Musikerstandort wichtig ist und wieso das Wort „Langeweile“ im LEONIDEN-Kontext zu nennen, an Frevelei grenzt.

Stellt man eine Band vor, fängt man häufig mit der Gründung an, wieso, weshalb, warum und wann die Kapelle zusammenkam, um den ersten Hit zu schreiben und die sagenumwobene Magie walten zu lassen. Finde ich immer etwas dröge, aber nicht vollkommen uninteressant. Das Kapitel Entstehungsgeschichte LEONIDEN sei daher – und nicht mangels verfügbarer Zeilen – schnell erzählt: Die Brüder Lennart (Gitarre) und Felix (Schlagzeug) trommeln und bewegen sich zur Musik, seitdem sie laufen können. Eingeschult und als Sextaner die Blockflöten in die Ecke schmeißend, wurden aus den Klassenkameraden JP Neumann (Bass) und Djamin (Keys) Bandkollegen. Der aktuelle Sänger Jakob stieß später durch gemeinsame Freunde und Bekannte zur Band, als der ehemalige Frontmann die Band verließ. Einzige Einstellungsvoraussetzung: Der Umzug von Hamburg nach Kiel.
Jakob ist mit politischer Indie-Mischmasch-Musik, The Mars Volta, Nirvana und dem Screaming aus der Hardcore-Ecke musikalisch sozialisiert. Ich denke zum ersten Mal: Wow – breites Spektrum. Achtung Spoiler. Dieses Spektrum werden Again-Hörer von Song zu Song, aber auch innerhalb der Tracks wiedererkennen.
Mit zittriger Fistelstimme und kraftvollem Ausdruck, beherrscht Jakob zwei markige Gesangsstile und weiß diese geschickt auf den Punkt einzusetzen. Wie spielend und experimentierfreudig er die Stimme in den Songs auf dem neuen Album einsetzt, zeigen Kompositionen wie Alone auf der einen Seite, eine geschmeidige Tanznummer, die sich sanft zwischen die Rock-Hymne Kids anschmiegt oder Iron Tusk, welche an Dynamik durch krumme Taktangaben, Rhythmus- und Tempiwechsel kaum zu übertreffen ist.
Aus meiner Sicht spiegeln diese drei genannten Tracks nicht nur eine Art Lebensgefühl der Gruppe LEONIDEN wider, vielmehr ist dieser Varianten- und Einfallsreichtum ein Sinnbild für die Herangehensweise und die manische Akribie, mit der die kreativen Kieler an das Songwriting gehen. „Ich finde das Offenohrige spannend und das Schauen in andere Genres. Sich ausprobieren ist enorm wichtig“, sagt Sänger Jakob, der genau wie seine vier Kompagnons schnell gelangweilt ist, wenn man sich selbst kopiert. Jeder Song auf Again steht für sich, hat eine Signatur und ist in monatelanger Feinarbeit zusammengeschraubt. Bei Kids liegt die Assoziation zum gleichnamigen Streifen Ende der neunziger Jahre nahe. Die größte Gemeinsamkeit zur amerikanischen Verfilmung jugendlicher „Wilderei“ in New York City liegt vielleicht darin: Einfach mal rauskommen, weg von zuhause sein, keine Pflichttermine und alle Freiheiten zu haben, die Spaß machen – ohne den Drogenteil.
Bis ein Song den Aufnahmetest überstanden hat, wird er so manchen Härtetests unterzogen. „Wir spielten einige Songs mal zwei Bpm langsamer, mal schneller, setzten die Tonart einen Halbton höher und mal runter, weil es besser für meine Stimme ist“, beschreibt Jakob den Entstehungsprozess. Wenn danach alle Fünf mit dem Ergebnis zufrieden sind, bleibt der Song. Das führe auch dazu, dass Langeweile ausgeschlossen ist.
Bei einem solchen Prozess entsteht jedoch auch eine Menge Ausschuss, das liegt in der Natur der Sache. Eineinhalb bis zwei Alben seien weggeschmissen worden, fährt Jakob fort. Tonne auf, Musik rein, Deckel drauf. Bums – Das Musikerherz blutet. Ein Kompromiss, den LEONIDEN jedoch gern bereit sind einzugehen, denn das Ergebnis stimmt.
Rückschläge, Prozesse und Visionen sind im besten Fall aber hilfreich.

„Als Musiker helfen einem naive
Träume, den Mut zu behalten und
weiter zu machen. Da wir alle schon
lange Musik machen, ist auch ein
wenig Realismus dabei“,

erklärt Frontmann Jakob. Ausgiebige Touren, Konzerte mit Franz Ferdinand und der Gewinn des New Music Awards 2017 entschädigen allerdings für Vieles, was in der Vergangenheit kürzertreten musste. Zwölf bis 15 Stunden tägliche Arbeit am neuen Material – keine Seltenheit. Das Handy dabei stummschalten, um jede Ablenkung zu vermeiden und sich auf das Schreiben zu konzentrieren, festes Ritual. Klingt komisch, war für LEONIDEN aber Alltag.

Live rocken die Leoniden immer wieder die Bühne und ihr Publikum
(Foto: Maximilian König)


„Wir haben bewusst keine Störgeräusche von außen zugelassen und alles dafür getan, um konzentriert zu arbeiten. Das ist nicht wie ins Kloster gehen und die innere Mitte finden, aber wir haben jeden Tag für die Musik gelebt, nichts Anderes getan und den sozialen Part ausgeschaltet“. So beschreibt der ehemalige Hamburger, Jakob, das Zuwerkegehen von LEONIDEN. Ich frage mich – gerade vor dem Hintergrund, dass Musiker und Bands aus allen Himmelsrichtungen in die Großstadt pilgern und mit dem Image kokettieren, eine Kapelle mit Wurzeln der Hamburger Schule zu sein – welche Rolle Kiel als Hometown der aufstrebenden LEONIDEN spielt. „Für mich ist Kiel die bessere Stadt zum Musikmachen, weil sie nicht diesen Lifestyle fordert, wie es andere größere Städte tun. Ich habe das Gefühl, dass es von Hamburger Künstlern gefordert ist, sich auf bestimmten Veranstaltungen, Events und Konzerten blicken zu lassen, um dazu zu gehören.“ Zurückhaltung, Achtsamkeit und Besonnenheit sind aus meiner Sicht typische Kieler Wesenszüge. Wenn es darauf ankommt, wird abgeliefert und zwar nicht zu knapp.
Die Explosion sparen sich die Kieler für die Bühne auf. Vorher gibt es eine Zwei-Bier-Grenze, innoffiziell – naja eigentlich schon offiziell, berichtet Jakob und lacht. Mit anderen Drogen, Substanzen und Betäubungsmitteln haben die gesettleten Küstenstädter nichts am Hut und verfolgen eine strikte Anti-Drogen-Policy. „Das macht einfach keinen Sinn. Wir wollen zu 100 Prozent dabei sein, lassen auf der Bühne alles los, tanzen und machen unser Ding. Wenn man dann sagt, die LEONIDEN sind alle auf Koks, ist das doch einfach nur wack!“. Wenn es dem noch etwas hinzuzufügen gibt, dann nur noch eines: Geht mehr auf Konzerte, im Allgemeinen, und zu LEONIDEN sowieso.