Ihre Spielwiese
ist der Hochleistungsrechner

Helen Pabst geht über Windkrafträder

Mit ihren 25 Jahren blickt Helen Alina Pabst bereits auf einen beeindruckenden Werdegang zurück. Sie entwarf U-Boote für Thyssenkrupp Marine Systems in Kiel und brachte Studierenden neben ihrer Masterarbeit die Grundlagen der Strömungslehre bei. Aktuell arbeitet sie an ihrer Dissertation – ein Multitalent der Fachhochschule Kiel.

Es ist Freitagnachmittag im dänischen Risø. Rund 40 Kilometer von Kopenhagen entfernt steht für Helen Pabst am Ende ihrer ersten Arbeitswoche noch ein besonderes Ritual an: „winter bathing“. Trotz eisiger Wassertemperaturen pflegen Einheimische wie Touries dieses Spektakel in den kalten Wintermonaten und springen für den besonderen Kick nur in Badehose oder Bikini in das Hafenbecken von Kopenhagen. Und auch die im Anschluss ritualisierte „friday bar“ wird Helen an diesem Tag noch mitnehmen, um vollends ins kulturelle Leben unserer skandinavischen Nachbarn einzutauchen und an ihrem vorübergehenden Zuhause anzukommen. Zu ihrem Vergnügen ist Helen allerdings nicht hier. Während der nächsten vier Monate wird die Absolventin der Fachhochschule Kiel Daten für ihre Dissertation an der technischen Universität Dänemarks sammeln. Es geht um die Lärmreduzierung der Rotorblätter von Windkraftanlagen.

Ein Steg an einem See

Ein Faible für Formeln und Zahlen

Schon während ihrer Schulzeit entdeckte Helen ihr Interesse für technische Zusammenhänge und wählte dementsprechend ihre Leistungskurse mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt am Neuen Gymnasium in Oldenburg (Niedersachsen). Sie legte ihr Abitur in den Leistungskursen Mathematik und Physik – für die meisten wohl die absolute Horrorkombination – 2014 mit der Note 1,1 ab und erhielt darüber hinaus den DPG Abiturpreis der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für ihre hervorragenden Leistungen im Fach Physik. Im Anschluss hätte die Abiturientin wohl überall landen können, entschloss sich jedoch für ein Duales Studium des Maschinenbaus an der Fachhochschule Kiel in Kooperation mit Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS). Ihre Bachelor-Thesis zur „Modellierung und numerischen Simulation der strömungsmechanischen Vorgänge während des Notanblasens bei Unterseebooten“ hatte sie mit der Bestnote 1,0 bestanden. Das Kieler Rüstungsunternehmen übernahm das junge Nachwuchstalent im Anschluss als Entwurfsingenieurin 2018. In den folgenden drei Jahren stellte sie thermo- und strömungstechnische Berechnungen für U-Boots-Entwürfe an und errechnete deren Gewicht, Volumen, Stabilität und Festigkeit, bis Helen auch ihren Masterabschluss 2021 mit der Note 1,0 in der Tasche hatte.

Helen Pabst im Porträt

„Die Arbeit bei TKMS hat mich vor allem durch die Komplexität der nichtnuklearen U-Boote aus der Sicht einer Ingenieurin gereizt. Ich habe meine Arbeit immer als von der Bundesregierung abgesegnete Aufgabe verstanden, welche vornehmlich der Sicherung der Gewässer dient und nicht, um Krieg zu führen.“

Tausche Praxis gegen Theorie

Parallel zu ihrem Studium und der Anstellung als Ingenieurin bei TKMS übernahm Helen zusätzlich einen Lehrauftrag für Fluidmechanik an der FH Kiel. Hier brachte sie den Bachelorstudierenden als Dozentin die Grundlagen der Strömungslehre näher. Für alle, die wie wir an dieser Stelle raus sind: Das ist die Lehre von den Bewegungen flüssiger und gasförmiger Medien, also zum Beispiel der Durchströmung von Wasserleitungen oder der Umströmung von Flugzeug-Tragflügeln. Außerdem führt sie weitere Fluid-Mechanik-Übungen durch und korrigiert Prüfungsaufgaben. „Bei aller Arbeitserfahrung und den praktischen Anwendungsbereichen meines Studiums, ist es vor allem die Lehre an der Hochschule, die mich in den kommenden Jahren reizt“, sagt Helen über ihren Plan für die Zukunft. Um diesen in die Realität umsetzen zu können, steht seit September ihre Promotion mit dem Titel „Simulation of Turbulent Flow and Acoustics for Wind Turbines“ im Vordergrund. Im Rahmen des Professorinnenprogramms – ein ausgeschriebenes Promotionsstipendium für herausragende Absolventinnen – ist es Helen möglich, die Dissertation zu finanzieren. „Ziel der Promotion ist es, ein numerisches Simulationsverfahren zur zuverlässigen Vorhersage der Fernfeldakustik von Windkraftanlagen zu entwickeln, denn ein wesentliches Hindernis beim Ausbau von Windkraft sind immer noch Bedenken bezüglich Lärmbelastungen“, sagt Helen.

Hervorragende Bedingungen in Dänemark

Über ihren viermonatigen Aufenthalt im dänischen Risø freut sie sich besonders. Über das Stipendium des Deutscher Akademischer Austauschdienstes forscht sie an der DTU an der Umströmung der Rotorblätter von Windkraftanlagen und fühlt sich dank der technischen Ausstattung vor Ort richtig in ihrem Element. Durch sehr aufwendige, auf Höchstleistungscomputern durchgeführte Strömungssimulationen, gewinnt Helen detaillierte Einblicke in die strömungsinduzierten Geräuschmechanismen. „Die Akustik entsteht hier unter anderem dadurch, dass an der „trailing edge“ (Hinterkante des Blattes) die Druckfluktuationen, die mit der Strömung einhergehen, gescattered werden und so Schallwellen entstehen“, sagt Helen. Dieses sogenannte ‚trailing edge noise‘ ist ihr Forschungsschwerpunkt. Langfristig werden ihre Studien dazu beitragen, die Geräuschemission von Windkraftanlagen besser vorhersagen zu können und so beim Ausbau von Windparks in Deutschland unangenehme Überraschungen aufseiten von Anwohner:innen und Betreiber:innen zu vermeiden.

Hier zu sehen ist ein kleiner Abschnitt (0,25 m) eines Windkraftanlagenblattes. Das Rotorblatt wird im Bild von links angeströmt. Im hinteren Teil des Blattprofils sind die Wirbelstrukturen (sogenannte Turbulenz) zu sehen

Helen findet in Dänemark hervorragende Bedingungen vor und wird ihre Promotion an der Kieler Förde in Zusammenarbeit mit  der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg voraussichtlich im Jahr 2024 beenden. „Obwohl ich keine gebürtige Kielerin bin, finde ich die Stadt total super und kann mir sehr gut vorstellen, künftig hier zu lehren“, sagt Helen. Ganz abschalten von der Strömungslehre kann Helen jedoch auch während ihrer Freizeit nicht. Seitdem sie mit dem Rudersport bei der Rudergesellschaft Gemania Kiel vor drei Jahren begann, habe die Landeshauptstadt „nochmal um 100 Prozent an super dazugewonnen“, wie sie ergänzt. Und auch in Dänemark bleibt das Rudern präsent. Die Leistungssport-Gruppe des Roskilde Roklub bietet ideale Trainingsbedingungen – auch wenn der Roskilde Fjord natürlich keinen Ausblick auf den TKMS Kran oder die FH Kiel bieten kann. Zwar würde ein weiteres Projekt aktuell wohl zu viel Zeit kosten, aber vielleicht widmet sich die Doktorandin neben ihrer Arbeit als Dozentin ja irgendwann der strömungsmechanischen Optimierung von Ruderbooten auf der Kieler Förde.